Brutal-und nicht "Behutsam eingeführt"

Öffentlicher Brief des Heimat- und Geschichtsvereins Igstadt anlässlich des Richtfestes des Erweiterungsneubaus der Peter-Rosegger-Schule, Hauptstraße

Brutal – nicht „behutsam eingefügt“
Bei aller Freude über den Erweiterungsbau der Igstadter Schule – das Ensemble um den historischen Lenneplatz des Ortes ist endgültig dahin. Der Erweiterungsbau der Igstadter Peter-Rosegger-Schule ist im Rohbau fertig und die Schüler freuen sich auf ein neues Schulgebäude, so war es in der Presse kürzlich zu lesen. Sie freuen sich mit Recht. Zusätzliche 900 Quadratmeter sind eine starke Erweiterung, die die bestehenden Raumprobleme löst. All das könnte auch die Igstadter Bevölkerung über die betroffenen Eltern der Schulkinder hinaus beglücken, wenn nicht zunehmend das sichtbar würde, was viele, sehr viele im Dorf frühzeitig befürchtet hatten: Der Erweiterungsbau in seiner Massivität zerstört das denkmalgeschützte Areal erheblich, besonders den historischen Lenneplatz in seiner Struktur, Offenheit und Einbindung. Jeder kann sich selbst davon überzeugen, dass es einfach nicht stimmt, was bei der Errichtung des dreigeschossigen Kolosses versprochen wurde, dass nämlich der Platz nur noch schöner werden könne und in „Struktur und Größe“ erhalten bleibe. Der Bau rückt aus Platzgründen im Zentimeterbereich an das alte, bis vor kurzem vielfach genutzte Plätzchen, Licht und Leichtigkeit sucht man vergebens, das denkmalgeschützte alte Schulgebäude verschwindet fast völlig. Besonders augenfällig wird dies bei der Betrachtung von der Schulhofseite. Zur Bedeutungslosigkeit verdrängt ist der schöne Altbau aus den frühen 1950er Jahren. Ein Denkmalschutz, der keinen Umgebungsschutz durchsetzt, ist beklagenswert. Es ist geradezu grotesk und eine Provokation, dass den aufmerksamen Igstadtern weisgemacht werden soll, das Areal bleibe „weitestgehend unberührt“ und der Neubau sei „behutsam eingefügt“, wie es WiBau-Geschäftsführer Andreas Guntrum formulierte. So leicht lassen es sich die Bürger nicht mehr vormachen, wie sie öffentliche Baumaßnahmen zu beurteilen haben. Jeder Igstadter kann sich selbst ein Bild machen und für sich entscheiden, ob er den Neubau an dieser Stelle und in dieser Form als „behutsam eingefügt“ empfindet.
Dabei hätte es durchaus – daran sei hier noch einmal erinnert – Alternativen gegeben. Die Stadt war, trotz aller gegenteiligen Bekenntnisse der letzten Jahre, zu neuen Formen der Bürgerbeteiligung bei diesem Planungsvorhaben nicht bereit. Sie war nicht bereit, eine Diskussion mit den Bürgern von Beginn an zu führen. Das Zulassen kreativer Ideen bei einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung, für die sich Oberbürgermeister Sven Gerich an anderer Stelle wiederholt stark gemacht, fand nicht statt. Die Bürgerbeteiligung erschöpfte sich in der Anhörung der Pläne, dem Vortrag der Wünsche und Bedenken und der anschließenden Durchsetzung der Maßnahme ohne Wenn und Aber. Der Versuch, Alternativen im Kontext des alten Schulgeländes zu suchen oder gar über einen Schulneubau zu diskutieren, wurde von der damaligen Dezernentin für Schule und Kultur grundsätzlich zurück gewiesen. „Der Erweiterungsbau ist in Lage und Kubatur alternativlos“, so ihre damaligen Worte. Wäre es zum Beispiel nicht sinnvoll gewesen, bei einer Bausumme von 4,4 Millionen Euro einmal darüber nachzudenken, mit zusätzlichen überschaubaren Mitteln eine völlig neue Schule
anzustreben, etwa am Sportplatz hinunter am Weg nach Nordenstadt? Ja, es hätte zwei, drei Jahre wegen der notwendigen Planungen länger gedauert, aber es wäre eine wirkliche Zukunftslösung gewesen, statt eine brutale Einfügung in das denkmalgeschützte Areal des historischen Ortskerns.
Immerhin waren von offizieller Seite Sätze beim Richtfest am 9. November zu hören, die die Igstadter nicht vergessen sollten: Es gäbe eine „halböffentliche“ Dachterrasse. Das kann doch wohl nichts anderes heißen, als dass es einen geregelten, gleichberechtigten Zugang der Vereine und Igstadter Bürger zu dem oberen Teil des Gebäudes geben wird. Und es kann nicht bedeuten, dass sich der Zugang zur Dachterrasse allein nach den Schließzeiten der Schule richtet. Und wie ist der Zugang in den Ferien geregelt? Wie bereits vor zwei Jahren wurde die umlaufende Dachterrasse den Igstadtern noch immer als Erweiterung des Lindenplatzes vorgestellt. Auch der Oberbürgermeister sprach ganz ungeschützt von einem „offenen Ort“. „Den neuen Versammlungsraum“, so berichtet der Kurier über des Stadtoberhaupts Rede, „werden nämlich alle Igstadter Bürger und Vereine zu Veranstaltungen nutzen“.
Nach den zurückliegenden Erfahrungen werden „alle Igstadter Bürger“ skeptisch und hochaufmerksam sein, wie solche Versprechungen in die Praxis umgesetzt werden. Besonders in diesem Fall, der mit einem erheblichen Opfer für den Gesamtcharakter des Dorfes verbunden ist, gehört die Schule auch ihnen, als Bürger und Steuerzahler.

Für den Vorstand des Heimat- und Geschichtsvereins Igstadt Dr. Michael Weidenfeller (1. Vorsitzender) Wiesbaden-Igstadt, 16.11.2017



Artikel im Wiesbadener Kurier vom 11.11.2017: Mit Dachterrasse „behutsam eingefügt“

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